K. Bästlein u.a. (Hrsg.): Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung

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Titel
Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung.


Herausgeber
Bästlein, Klaus; Heitzer, Enrico; Kahane, Anetta
Erschienen
Berlin 2022: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Lorke, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte Münster

„Wir sind das Volk“, „Hol‘ Dir Dein Land zurück“; „Der Osten steht auf“, „Vollende die Wende“, „Wende 2.0“: Diese und weitere Wahl-Slogans der in weiten Teilen rechtsextremen „Alternative für Deutschland“ (AfD) spielen nicht nur auf perfide Art mit der jüngsten Zeitgeschichte und der DDR-Erinnerungskultur, indem sie heutige gesellschaftspolitische Verhältnisse mit den Gegebenheiten von vor 1989/90 parallelisieren. Das Narrativ „DDR 2.0“ knüpft zugleich an das Unbehagen insbesondere Ostdeutscher an, die sich als Verliererinnen und Verlierer des politischen und sozialen Einigungsprozesses sehen, und leitet daraus überdeutliche Handlungsempfehlungen ab. Teile des politisch „rechts“ – konzeptionell wird diese politische Einordnung offenbar bewusst vage gehalten – zu verorteten Randes der DDR-Aufarbeitungslandschaft, der im vorliegenden Sammelband näher betrachtet wird, steht solchen impliziten Aufforderungen zweifellos mit einer gewissen Offenheit gegenüber.

Vertreterinnen und Vertreter der Rechten haben in der Vergangenheit in unterschiedlichen Abstufungen, mit unterschiedlicher Vehemenz und Deutlichkeit mit jenen politischen Verlautbarungen, mit autoritären, nationalkonservativen, antisemitischen, rechtsextremen, rassistischen und/oder demokratiefeindlichen Einstellungen kokettiert bzw. kokettieren auch weiterhin damit. Gemeinsam sind ihnen, wie die Herausgeberin und die beiden Herausgeber des Bandes in ihrer Einleitung deutlich machen, die Beschwichtigungen und Verdrängungen, dass es sich bei der DDR eben auch um eine postnationalsozialistische Gesellschaft gehandelt habe. Innerhalb derer wird dem Narrativ des „Antifaschismus“ eine viel größere Wirkkraft unterstellt, mithilfe dessen man Rassismus, Antisemitismus sowie Rechtsextremismus überwunden habe, als dies tatsächlich der Fall war. Seit der im Jahr 2019 durchgeführten Tagung, deren Ergebnisse in diesem Band versammelt sind, sei eine erneute Radikalisierung des „rechten Randes“ erfolgt, erlebten rechtspopulistische Meinungen und Gruppierungen im weiteren Sinne einen massiven Zulauf, der sich in unterschiedlichen Nuancierungen zeigte (Corona-Leugner, „Querdenker“, Demokratieverachtende, Rassismen, Antisemitismus usw.) und mit gewaltsamen Ereignissen in Orten wie Chemnitz, Kassel, Hanau oder Halle assoziiert werde.

Im ersten Teil des Buches erfolgen geschichtspolitische Kontextualisierungen. Zunächst liefert Enrico Heitzer einen Überblick über neurechte Tendenzen in der DDR-Aufarbeitungsszene und bei Opferverbänden. Der Antikommunismus als Integrationsideologie sei dabei ebenso markant wie stabile personelle Netzwerke, die er etwa mithilfe einer Spurensuche in verschiedenen Publikationen (beispielsweise „Junge Freiheit“, „Stacheldraht“) bzw. Institutionen (unter anderem Berlin-Hohenschönhausen, „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus“) nachvollziehbar macht. Habbo Knoch nimmt die deutsche Geschichtspolitik seit den 1990er-Jahren in den Blick und attestiert dieser eine falsche Prioritätensetzung, die zu einer problematischen Entdifferenzierung des DDR-Bildes geführt habe. Ursächlich sei dafür die Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus gewesen, die einerseits für die DDR-Aufarbeitung eine Relativierung der NS-Verbrechen, andererseits eine fehlende Anerkennung und Verbitterung aufseiten der Bürgerrechtsbewegung befördert habe – und nun die entsprechenden Konsequenzen zeitige. Während Helmut Müller-Enbergs durchaus selbstkritisch die Defizite im Aufarbeitungsprogramm bei der Erforschung der Stasi-Vergangenheit sowie die ausbleibende Historisierung des „rechten Randes“ jener Aufarbeitungs-Szene bemängelt, nähert sich Jenny Wüstenberg der Rolle der Opferverbände an. Diese seien nicht zuletzt deswegen in Teilen anfällig für rechtspopulistische Tendenzen, weil sie nach 1989/90 einen erheblichen Bedeutungsverlust erlebt hätten – und somit rechtspolitische Positionen für einzelne dieser Gruppen eine gewisse Attraktivität ausstrahlten. Ebenso plausibel hergeleitet wie auch diskussionswürdig ist ihr Plädoyer für einen gewissen Grad an Offenheit auch gegenüber eben jenen Akteurinnen und Akteuren der Aufarbeitung, die die Regeln des erinnerungskulturellen Diskurses „produktiv erschüttern“ (S. 94). Die Spezifika rechtspopulistischer bzw. rechtsextremer Umgangsweisen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit diskutiert Detlef Garbe am Beispiel der heute beinahe vergessenen Hamburger Schill-Partei und ihrer Haltung zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Im zweiten Abschnitt des Buches werden unterschiedliche Erfahrungsberichte vorgestellt. Der frühere Bürgerrechtler Stephan Hilsberg schildert den aus seiner Sicht erfolgten Drift nach rechts, den der Förderverein der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen in den letzten Jahren vollzogen habe, was sich insbesondere mit den Diskussionen um die Aufnahme von AfD-Landeschef Georg Pazderski in den Förderverein gezeigt habe, während Annica Peter dieselbe Gedenkstätte in einem studentischen Erfahrungsbericht und konkret die Spätphase von Direktor Hubertus Knabe bis zu dessen Entlassung im Jahr 2018 betrachtet. Martin Jander weist in seinen Ausführungen zur „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V.“ eine deutliche Nähe zu Positionen der AfD nach, was stellvertretend für SED-Opferverbände stehe, die sich in Einfluss und Sichtbarkeit zurückgedrängt fühlten. Demgegenüber werden im dritten Block einzelne Gedenkstätten, Institutionen und Personen näher beleuchtet: Klaus Bästlein wendet sich der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zu, diskutiert hierbei unter anderem die Besonderheiten der dortigen Dauerausstellung, attestiert dieser Einseitigkeit und Verzerrungen und bescheinigt eine „Manipulation von Fakten“ als „Kennzeichen der Dauerausstellung“ (S. 162). Nachfolgend erörtert Bästlein am Beispiel des früheren Direktors Knabe und dessen frappierender ideologischer Wende die aus seiner Sicht geschichtsverfälschenden, hochgradig rechtslastigen, zugleich das NS-Unrecht relativierenden Tendenzen bei deren Präsentation. Auch der Förderverein und der Kreis um Personen wie Jürg Kürschner, Siegmar Faust, Vera Lengsfeld oder der stellvertretende Direktor der Gedenkstätte, Siegfried Reiprich, hätten dafür gesorgt, dass Hohenschönhausen unter Knabe in der Aufarbeitungslandschaft eine „Art Scharnierfunktion“ für das rechte Lager innegehabt habe, ja zu einem „Hotspot des rechten Rands der DDR-Aufarbeitung“ (S. 165f.) avanciert sei. Bästleins Diagnose für den „Fall Knabe“ ist nicht weniger als ein „Totalversagen von Politik, Medien und Historikerzunft“ (S. 168).

Im Anschluss an diese anregende, zugleich kontroverse und nachdenklich stimmende, kritisch-selbstkritische Bestandsaufnahme folgt im Band eine instruktive Gegenüberstellung von Einschätzungen über das Menschenrechtszentrum Cottbus, das als eines von vielen Beispielen die Problematik im Umgang mit der doppelten Vergangenheit spiegelt. Während Enrico Heitzer in seinem Text die dortige Geschichtsdarstellung moniert, weil zumindest in der Vergangenheit eine fachwissenschaftliche Begleitung gefehlt habe, der Nationalsozialismus verharmlost worden sei und die AfD unterstützend tätig gewesen sei, weist die vormalige geschäftsführende Vorsitzende Sylvia Wähling diese Vorwürfe mit Verweis auf die Konzeption und die damit verbundenen Hintergründe zurück. Auch wenn sie nicht auf jeden der zuvor artikulierten Kritikpunkt eingeht, wird doch hier zumindest in Ansätzen das eingelöst, was von ihr selbst gefordert wird: eine konstruktive Debatte. Eine solche kann der DDR-Aufarbeitungsszene immer helfen, auch wenn zu fragen wäre, zu welchem Preis und mit wem genau über welche Aspekte der Erinnerungskultur gesprochen werden kann. Angesichts der Vielzahl schwerwiegender Vorwürfe, die im Buch insbesondere mit den Namen von Hubertus Knabe verbunden sind, bestehen berechtigte Zweifel, ob dies gelingen kann und worin der Ertrag für die Debatte läge, würde sich der inzwischen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Würzburg Beschäftigte darauf einlassen.

Selbsthistorisierend ist schließlich der letzte Abschnitt, der sich mit den Angriffen von rechter Seite auf die Tagung auseinandersetzt, die von der Antonio Amadeu Stiftung sowie der Landeszentrale für politische Bildung Berlin mitfinanziert worden war. Heike Radvan erörtert Wahrnehmungen von Antisemitismus aufseiten von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern, Anja Thiele wertet Kommentare zur Veranstaltung in den Sozialen Medien aus und kann hier rechte Verschwörungserzählungen, Modi der Selbstviktimisierung und alles in allem einen vehementen Widerspruch gegen die Tagung bzw. die Veranstaltenden ausmachen. Diese verknüpften sich insbesondere mit der Ablehnung der Tätigkeit der Amadeu Antonio Stiftung, einer stark antikommunistisch unterlegten Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen und einer ideologischen Gleichsetzung der heutigen Gesellschaft mit der SED-Diktatur. Das Feindbild vieler dieser Menschen schlechthin, die vormalige Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane, reflektiert in ihrem Beitrag in einer Verbindung aus biographischen Reflexionen und zeitgenössischen Beobachtungen ihr Leben in der DDR als Jüdin und Kommunistin, die Ambivalenzen der sozialistischen Gesellschaft sowie die Erfahrung von Alltagsrassismus. Sie markiert dadurch relevante Kontinuitäten, die zu einer Abrechnung werden. Nicht Antifaschismus, sondern Autorität und Macht seien kennzeichnend gewesen. Dies präge aus ihrer Sicht „heute das Bild der meisten Pegida-Aufmärsche oder AfD-Versammlungen in Ostdeutschland“ und trage, so ihre interessante und diskussionswürdige Überlegung, das „autoritäre, individualitätsfeindliche, demagogische und antiemanzipatorische Erbe der DDR“ (S. 239) weiter.

Das Buch stellt eine wichtige Bestandsaufnahme der Veränderungen und Dynamiken innerhalb der DDR-Aufarbeitung dar; es ist ein erster Zugang zu einem schwierigen, aber dringlichen Thema, lesenswert, erhellend, unterhaltsam, teils bestürzend und überraschend. Weniger überraschend hingegen ist, dass es selbst stark normativ gefärbt, meinungs- und urteilsstark ist, und dies muss es zwangsläufig auch sein, wenn von politisch tendenziell liberaler oder sehr verkürzt: „linker“ Seite die Aufarbeitung von rechts in das Visier gerät. Die DDR-Aufarbeitungslandschaft ist aufgerufen, eine gewisse Pluralität auszuhalten und sich den geschilderten Herausforderungen in einer konstruktiven, differenzierten, selbstbewussten Auseinandersetzung zu stellen. Es bleibt indes fraglich, und hier stehen wir wohl gerade erst am Beginn eines größeren politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses, wie stark die Ausdifferenzierung und Heterogenität innerhalb dieser erinnerungskulturellen Landschaft ausfallen kann und sollte – und damit auch, was ein demokratisches Gemeinwesen auszuhalten in der Lage ist. Offen demokratieverachtete Kräfte und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer werden in Bälde kaum verschwinden; selbst dann nicht, wenn sie in Fördervereinen aus guten Gründen marginalisiert werden oder in Publikationen wie der hier besprochenen nicht oder allenfalls indirekt zu Wort kommen.

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